Handschrift adé? Schreiben in einer digitalen Welt
Jeder braucht es, jeder tut es. Eine kurze Notiz am Kühlschrank oder eine Einkaufsliste mal eben auf ein Blatt Papier gekritzelt. Bereits seit mehreren Jahrtausenden ist Schreiben Teil unseres Lebens. Menschen schreiben. Dass Schreiben daher als eine sehr weit verbreitete Kulturtechnik gilt, liegt auf der Hand. Doch wie lernen Kinder schreiben? Was passiert durch den immer stärkeren Einfluss digitaler Medien, die uns wortwörtlich den Stift aus der Hand nehmen?
Menschen schreiben schon seit langer Zeit: Bereits vor 7000 Jahren entwickelten die ersten Völker eine Bilderschrift. Diese wurde dann etwa 5000 Jahre später durch die Keilschrift revolutioniert: Die ursprünglichen Symbole wurden nun mit einem flachen Keil gezeichnet und stilisiert dargestellt. Dies führte dann letztlich zur Entwicklung verschiedener Alphabete, die über die Jahrtausende weiterentwickelt wurden – unter anderem zu der Schrift, die wir heute kennen.
Es gab ähnliche Schriftentwicklungen an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten. Der Wunsch, bestimmte Informationen dauerhaft festzuhalten, dürfte in vielen Kulturen wohl Auslöser dafür gewesen sein, Schriften zu entwickeln. Die entsprechenden kognitiven und motorischen Fähigkeiten, die hierfür nötig sind, sind schließlich prinzipiell im Menschen angelegt – also dürfte es eigentlich auch keine Probleme dabei geben, Kindern das Schreiben beizubringen.
Doch genau darüber gibt es viele Diskussionen: Wie lernen Kinder am besten Schreiben und wie wichtig sind Laptops und weitere Elektronik in diesem Prozess? Das Tippen auf Tastaturen – beginnend bei der Schreibmaschine Mitte des 19. Jahrhunderts, bis hin zu den Computertastaturen von heute – spielt eine immer größere Rolle. Egal ob bei Smartphones, Laptops oder Tablets: Man kommt nicht darum herum.
Aber schon der Streit darüber, welche Schriftart die beste ist und welche man Kindern beibringen sollte, ist Jahrhunderte alt und zieht sich bis heute durch: Soll erst eine Druck- und dann eine Schreibschrift gelehrt werden oder genügt sogar nur eine von beiden? Wenn ja, welche ist die beste für die Kinder?
Die Arbeitsgruppe „Schrift in der Schule“, bestehend aus Lehrern und Eltern, veröffentlichte 2019 die sogenannte Siegener Erklärung. Dort plädiert sie für die sogenannte Schulausgangsschrift, eine schnörkellose Schreibschrift. Hintergrund hierfür ist, dass die Druckschrift für Grundschüler einiger Bundesländer wie z.B. auch Nordrhein-Westfalen als Ausgangsschrift für das Lesen und Schreiben festgelegt wurde. Die Arbeitsgruppe argumentiert, dass das Erlernen einer Druckschrift vor dem einer Schreibschrift bei den Kindern zu Verwirrung und sei eine „Zusatzbelastung“ führen würde.
Das Mercator-Institut in Köln hingegen kommt zu einem anderen Ergebnis als die Siegener. Die Sprachwissenschaftler:innen des Instituts belegen, dass es nicht auf die Schriftart, sondern auf viel Übung ankomme. Und es gebe auch Druckschriftalternativen zur von der Siegener Erklärung beworbenen Schulausgangsschrift: die Lateinische Ausgangsschrift und die Vereinfachte Ausgangsschrift. Diese seien nicht schlechter, denn auch bei einer Druckschrift werden die Buchstaben quasi in der Luft miteinander verbunden – eine Schreibschrift erst im zweiten Schritt zu lernen, sei also kein Problem.
Doch was passiert nun beim digitalen Schreiben? Sollte die Handschrift überhaupt noch unterrichtet werden, in einer Zeit, in der die meisten wohl digitales Schreiben bevorzugen? Ob Psycholog:innen, Lehrer:innen oder Forscher:innen, sie sind sich in jedem Fall einig: Handschriftliches Schreiben fördert die kognitiven und motorischen Fähigkeiten. Einige Forschungen gehen sogar so weit zu sagen, die Rechtschreibkompetenz werde durch handschriftliches Schreiben gefördert. Nicht nur bei Schülerinnen und Schülern, die gerade Lesen und Schreiben lernen, sondern das ganze Leben lang zieht sich die Frage durch, ob Hand- oder digitale Schrift besser ist.
Auch zwei amerikanische Wissenschaftler wollten es genauer wissen und führten eine Studie durch. Studierende sollten sich eine Vorlesung ansehen und mit ihrem bevorzugten Mittel mitschreiben. Im Anschluss wurden Fragen zu den Inhalten gestellt. Studierende, die handschriftlich mitgeschrieben hatten, schnitten um einiges besser ab. Als Ursache wird die Schreibgeschwindigkeit angesehen: Studierende, die mit dem Stift mitgeschrieben haben, schrieben generell weniger Worte. Durch langsames Schreiben mussten sie bereits im Voraus die Informationen filtern: Sie konnten und mussten bestimmte Konzepte im Gehirn bereits während des Schreibens verarbeiten.
Eine norwegische Studie zeigt ähnliche Ergebnisse. Dort wurden die Gehirnströme beim Zeichnen oder Tippen von Begriffen aus dem Spiel „Pictionary“, so etwas wie „Montagsmaler“, gemessen. Resultat: Beim Zeichnen werden mehr Gehirnareale aktiviert und vor allem die, die für Kreativität und motorische Fähigkeiten zuständig sind.
Es spricht aber auch einiges dafür, das digitale Schreiben stärker zu schulen. Durch die erhöhte Schreibgeschwindigkeit und den Schreibfluss können viel einfacher und schneller Texte geschrieben und Verbesserungen an ihnen unaufwendig vorgenommen werden. Spätestens im Beruf werden daher viele mit dem digitalem Schreiben konfrontiert und müssen es dann auch beherrschen. Digitalität sollte an den Schulen also durchaus Teil des Unterrichts sein.
Doch was bedeutet das genau für Lehrende, die Kindern Schreiben beibringen sollen? Im Kölner Faktencheck steht klipp und klar: „Es ist besonders gewinnbringend, wenn Schülerinnen und Schüler nicht entweder nur die Handschrift oder das Tastaturschreiben lernen, sondern beide Techniken.“ Wie das Verhältnis von digitalem und analogem Unterricht sein soll, müsse individuell und je nach Situation entschieden werden.
Doch genau das sei der Punkt, beschweren sich viele Lehrer: Kaum ein Lehrer wisse, welche Schreibtechnik in welcher Situation die Richtige ist. Gefordert werden Fortbildungen. Auch die technischen Voraussetzungen in den Schulen müssen geschaffen werden, denn diese fehlen auch in den meisten Schulen. Dann kann Schülern wieder beigebracht werden, wie man schreibt. Besser noch: Ihnen kann beigebracht werden, wann digitales und wann analoges Schreiben angemessen ist.
Fazit ist also: Handschriftliches Schreiben als Fertigkeit sollte auf keinen Fall vernachlässigt werden. Es ist wichtig, mit Zettel und Stift umgehen zu können – dies hilft auch bei der Entwicklung weiterführender Fähigkeiten. Doch um auf die spätere Berufswelt vorbereitet zu werden oder auch um längere Texte zu produzieren, ist es auch wichtig, mit elektronischen Hilfsmitteln umgehen zu können. Auch die Motivation von Schülerinnen und Schülern lässt sich mit digitaler Hilfe steuern: Sie ist größer, wenn die Kinder Aufgaben an digitalen Medien anstatt mit Zettel und Stift bekommen würden. So gibt es auch Laptops, die mit einem Stift per Touchpad benutzt werden können. Mit Methoden dieser Art kann die neue Digitalität mit der alten Kulturtechnik verbunden werden: Denn es ist so und es bleibt dabei – der Mensch muss schreiben.
Autorin: Céline Ivana Padtberg
Was der Linguistik Michael Becker-Mrotzek übriges zu der Frage sagt, ob wir in der digitalen Welt noch die Handschrift brauchen, ist hier nachlesbar.
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