How to Do Things with Words – Heute: Sounding like Marlon Brando
Überall in unserer Wohnung liegen Fläschchen, kleine Kartons, Beipackzettel, Tablettenblister, Tee- und Taschentuchpakete – die Versinnbildlichungen meines Gesundheitszustandes. Sobald draußen die Blätter von den Bäumen fallen und drinnen die Heizungen angestellt werden, stehen Bakterien und Viren Schlange. Alljährlich und für den gesamten Zeitraum von September bis Mai. Zumindest bei mir. Meine Stimme klingt dann wochenlang wie die von Marlon Brando als Pate, nur etwas weiblicher, wenn sie denn überhaupt noch klingt. Für mein Umfeld werde ich zu einem geheimnisvollen Wesen, dessen Innenleben nur noch anhand mimischer Hinweise erahnt werden kann. Der Hausarzt, der beim Blick in meinen Hals eigentlich erschrocken zusammenzucken müsste, sieht zwar eine Entzündung, aber sonst nichts Besonderes. Weil ich mich aber nicht gerne unverstanden fühle, versuche ich es noch einmal bei der HNO-Ärztin und die sieht mehr. Stimmbandentzündung. Gut, das klingt immerhin so dramatisch, wie es sich anfühlt. Neben der Frage, wie die Entzündung wohl am schnellsten wieder vergeht, würde ich jetzt gerne wissen, warum ich eigentlich so klinge, wie ich denn klinge.
Was macht die Erkältung also mit meinem Stimmapparat? Wie funktioniert das mit der Stimme überhaupt? – Und warum kann mein Hausarzt die Kehlkopf-Entzündung eigentlich nicht sehen?
Beginnen wir mit der Atmung. Der Atemstrom ist die Basis dafür, dass wir überhaupt eine Stimme bilden können. Wenn wir einatmen, nimmt die Luft einen Teil der Strecke, die auch unsere Nahrung geht (hier, wenn Ihr mögt, mit Bild). Ist sie also einmal bis zum Rachen gelangt, geht es ein kurzes Stück hinunter bis an die Gabelung, bei der sich die Wege von Luft und Butterbrot trennen (in der Regel passieren aber auch nicht beide zeitgleich diese Stelle): Hier spaltet sich der untere Rachenraum auf in die brustnähere Luft- und in die weiter im Körperinneren liegende Speiseröhre. Die Atemluft nimmt mit der Luftröhre den Weg Richtung Lunge. Dafür, dass das Essen nicht versehentlich in die Luftröhre gelangt, sorgt übrigens der Kehldeckel, der sich über den Eingang zur Luftröhre legen kann.
Auf dem Weg zur Lunge – an einer Stelle also, wo ohne ein Untersuchungsinstrument, das einen Blick um die Ecke ermöglicht, keine Betrachtung mehr möglich ist, was mein Hausarzt entschuldigt, der so etwas nicht hat – strömt die Luft durch den Kehlkopf. Im Kehlkopf sind, ähnlich wie bei einem Trampolin, zwei relativ dicke, elastische Muskeln aufgespannt: die Stimmlippen (die Bezeichnung „Stimmbänder“ erfasst nur einen Teil der Muskeln: dünne Bänder, die die Spannung und Form der Stimmlippen mit beeinflussen). Zwischen den Stimmlippen, die beim Einatmen weit geöffnet sind, liegt die sogenannte Stimmritze. Sie kann je nach Stellung und Anspannung der Stimmlippen enger oder weiter sein.
Wird die Luft ausgeatmet, muss sie bei ihrem Weg aus der Lunge wieder nach draußen durch den Kehlkopf strömen. Hierbei können die Stimmlippen den Luftstrom in Schwingung versetzen, indem sie sich in sehr schneller Folge öffnen und schließen, also schwingen (wer das sehen mag, bitte hier klicken). Welche Laute aus diesem akustischen Basismaterial entstehen können, ist unterschiedlich. Neben der Formung durch die Stimmlippen selbst (die z.B. bei stimmlosen Lauten wie [p] und [t] nicht schwingen) hängt es auch davon ab, ob und wie der Luftstrom auf dem weiteren Weg nach draußen u.a. durch Zungen-, Lippen- und Kieferstellung geformt wird.
Wie eine Stimme klingt, hängt von den physiologischen Gegebenheiten ab. Sind die Stimmlippen lang wie bei Männern mit ca. 1,75 bis 2,5 cm, schwingen sie langsamer und die Stimme klingt tief wie die langen Seiten einer Harfe. Sind sie kurz wie bei Frauen mit ca. 1,25 bis 1,75 cm oder bei Kindern, ist die Stimmlage eine höhere. Innerhalb des Stimmenspektrums eines/r Sprechers*in hängt die Tonhöhe dann von der Stellung und der Spannung der Stimmlippen ab. Hohe Töne entstehen durch stark gespannte Stimmbänder und eine enge Stimmritze. Durch die nachlassende Spannung der Stimmlippen und eine Erweiterung der Stimmritze werden die Töne tiefer. Damit hat letztlich die Häufigkeit der Schwingungen, die Frequenz, Einfluss darauf, wie ein Ton sich verhält: Wenn eine Opernsängerin einen besonders hohen Ton anstimmt, öffnen und schließen sich die stark gespannten Stimmlippen bis zu 1500 Mal in der Sekunde. Schwingen die Stimmlippen regelmäßig, wird die Stimme außerdem als klar wahrgenommen.
Klar klingt meine Stimme zu vielen Herbst- und Winterzeiten allerdings nicht. Sie ist vielmehr belegt und heiser, weil die Stimmlippen nicht mehr frei und regelmäßig schwingen können. Das liegt daran, dass sich die Schleimhaut auf den Stimmlippen entzündet hat und die Stimmlippen deshalb angeschwollen sind. Sie verfügen nämlich über keine eigenen schleimbildenden Drüsen und können deshalb schnell austrocknen. Besonders bei der trockenen Heizungsluft im Winter. Gereizt, wie sie dann sind, bieten sie einen guten Nährboden für Viren und Bakterien. Aber auch die anderen Schleimhäute im Kehlkopfbereich und im Rachen- und Mundraum können natürlich von solchen Entzündungen betroffen sein. Dann wird der Luftstrom durch einen Raum geleitet, der eine etwas andere Oberfläche hat und wohl auch ein wenig enger ist als im gesunden Zustand. Auch deshalb kann die Stimme also anders klingen und das Sprechen schmerzen. Gut, dass das normalerweise nur ein paar Tage andauert.
Bei Marlon Brando allerdings liegt der Fall noch etwas anders – er war nämlich Raucher. Bei Rauchern*innen ist die Schleimhaut der Atemwege durch das Rauchen wie bei einer Entzündung chronisch angeschwollen und von einer dickere Schleimschicht bedeckt. Auf den Stimmbändern selbst sitzen außerdem häufig blasenartige Polypen; sehr wahrscheinlich hatte Marlon Brando dort auch Knötchen. Diese und vermutlich auch weitere Faktoren haben seine Stimme also dauerhaft moduliert – ihn damit aber auch unvergessen gemacht.
Auch, wenn mir nach dem Besuch bei der HNO-Ärztin jetzt einiges klarer ist, sie kann leider nicht wunderheilen. Da hilft also wohl nur – wenig originell: nicht so viel sprechen, viel trinken, mal an die frische Luft gehen und ein paar Vitamine essen.
Und auf den Sommer hoffen.
Autorin: Nicole Auerbach
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