Die Radieschen von der Wurzel her essen – Euphemismen des Sterbens und ihre Ursprünge

Wem geben wir eigentlich den Löffel, wenn wir ihn abgeben und warum geben wir ihn überhaupt ab? Was liegt auf der anderen Seite des Jordans, wenn wir ihn überqueren? Und warum sollte man die Radieschen von unten betrachten? Diese Fragen stellt man sich für gewöhnlich nicht, wenn man mit den entsprechenden Redewendungen, die allesamt Umschreibungen für das Sterben und den Tod sind, in Kontakt kommt. Wenn man sie aber dann doch stellt, erhält man interessante Antworten.

Die sprachlich schönere Verpackung eines negativen und unerwünschten Inhalts nennt man Euphemismus. Euphemismen treten in unterschiedlichen Themenbereichen und Handlungsgebieten auf. Im ökonomischen sowie politischen Sprachgebrauch sind sie allgegenwärtig. So spricht man im militärischen  Bereich oft nur noch von „Kampfeinsätzen“ und nicht von „Kriegen“, Preiserhöhungen nennt man „Preisanpassungen“. Und Gebäude reißt man nicht mehr ab – sie werden vielmehr „rückgebaut“.

Auch im allgemeinen gesellschaftlichen Sprachgebrauch spielen Euphemismen eine wichtige Rolle. In ihnen spiegeln sich z.T. gesellschaftliche Normen – und damit auch Möglichkeiten für soziales Fehlverhalten. So auch im Themenbereich Tod und Sterben. Die wenigsten Bestatter dürften den Angehörigen gegenüber wohl einfach salopp von „der Leiche“ sprechen. Mit dem Begriff wird schließlich vor allem die Tatsache fokussiert, dass es sich um einen toten Körper handelt und der konkrete, individuelle Mensch wird so zu etwas Dingartigem. Wenn man Teil einer Mordkommission ist, kann das zwar eine kognitive Schutzwirkung haben, weil wir bestimmte mentale Wissensbereiche dann eben nicht aktivieren – es ist aber nicht die Art und Weise, in der wir gerne über Menschen reden, die wir lieben.

Gerade rund um das Thema Tod und Sterben sind die Euphemismen besonders vielfältig. Um es einfacher zu machen, mit dem Tod eines geliebten Menschen umzugehen, werden beschönigende – und damit auch tröstende – Metaphern und andere rhetorische Mittel verwendet. Zumal das Thema und die Trauer auch häufig als heikel wahrgenommen werden. Aber auch ein spielerisch-humoristischer Bewältigungsversuch kann auf Euphemismen aufgebaut sein. Ein bestimmtes Gemüse von unten zu betrachten, einen bekannten Fluss zu überqueren oder Besteck abzugeben – all das hört sich im ersten Moment an wie die Beschreibung von alltäglichen Lebenssituationen, benennen jedoch in bestimmten Kontexten nichts anderes als den Tod/das Tot-Sein.

Euphemismen können in vielfacher Weise umgesetzt werden. Gängige Formen sind dabei Umschreibungen, der Einsatz von Fremdwörtern, Metaphern sowie Über- und Untertreibungen, das Verwenden von Synonymen, Abkürzungen und Wortspielen. Für die richtige Umsetzung von Euphemismen ist oft ein gewisses Fachvokabular nötig, das manchmal auch aus einer anderen Sprache entlehnt wird. So verwenden Mediziner den lateinischen Fachbegriff „Exitus“ für den Tod sicherlich auch, um sich professionell zu distanzieren. Und der Begriff des „Einschläfern“ ist ein Euphemismus für das absichtliche Vergiften eines Tieres (zu seinem eigenen Wohl, natürlich).

Die Furcht vor dem Ende (auch ein Euphemismus) bringt uns dazu, die unterschiedlichsten Umschreibungen für das Unausweichliche zu finden. Während des ersten Weltkrieges war so unter anderem der Euphemismus „Die Radieschen von unten Betrachten“ sehr verbreitet. Er beruhte auf der Vorstellung davon, was jemand, der tot und begraben ist, wohl sehen könnte. Durch das Spiel mit der Realität wurde versucht, die Angst und den Schrecken vor dem Tod zu mindern. Auch in anderen Kriegsländern wurden ähnliche Redewendungen erfunden, um zu versuchen, den Ernst der Lage sprachlich – und damit auch kognitiv – zu bewältigen. In Frankreich etwa sagt man: „Allez manger des pissenlits par la racine“, was so viel bedeutet wie „Die Radieschen von der Wurzel her essen“. In England heißt es: „to push up the daisies“ – übersetzt: „die Gänseblümchen hochdrücken“.

Bleiben wir im Krieg: Schon im Alten Testament stirbt jemand, wenn dieser „ins Gras beißt“, einen unfreiwilligen, gewaltsamen Tod. Der griechische Dichter Homer beschreibt damit etwa den Todeskampf von Soldaten, die im Kampf verletzt worden waren. Diese bissen tatsächlich ins Gras, um den Schmerz besser verkraften zu können. Auch heutzutage beißen Menschen noch vor Schmerz ihre Zähne zusammen, auch wenn sie nicht in Gras beißen.

Weniger schmerzhaft als das „ins Gras beißen“, scheint es, „den Löffel abzugeben“. Aber: falsch gedacht – mit der Formulierung verbindet man in der Regel nicht ein gemütliches Familienessen, sondern den Tod eines Menschen. Diese Redensart stammt aus dem späten Mittelalter/der frühen Neuzeit und beruht darauf, dass zu einer Zeit, in der nicht jeder einen Löffel besaß, der Löffel ein Statussymbol war. Lange Zeit war er also ein Luxusgegenstand, den man der nächsten Generation vererbte. Der Verstorbene hatte dann den Löffel abgegeben.

Aber nicht nur Pflanzen und Besteckteile werden in Redewendungen mit dem Thema Tod verknüpft. Auch dem Jordan ergeht es so. Der größte Fluss Palästinas spielt in der Bibel eine wichtige Rolle. Die alten Israelis zogen schließlich mit deren Anführer Moses über den Jordan ins Gelobte Land. Dieser Übergang wurde in der christlichen Mythologie als Eintritt ins Himmelreich gedeutet. Der Weg über den Jordan führt also ins Himmelreich und beendet damit  das Leben auf Erden – und verzeichnet so den Tod des Menschen.

Die Tatsache, dass es so viele unterschiedliche Umschreibungen und Redewendungen für den Tod gibt, zeigt wie wichtig Euphemismen im Alltag sind, insbesondere bei Themen, die eher tabuisiert oder emotional aufgeladen sind. Sie helfen uns also auch dabei, Aspekte, die entweder schmerzhaft sind oder uns auch unangemessen erscheinen, mental erst gar nicht zu aktivieren.

Wenn ihr das nächste Mal also einen Löffel weiterreicht oder mal wieder die Zähne zusammenbeißen müsst, wisst ihr jetzt, dass es auch schlimmer kommen könnte – in der euphemistischen Verwendung zum Beispiel …

Autor: David Globisch

  • Apropos Löffel abgeben.
    Im Mittelalter wurde, gerade von Reisenden, immer ein Löffel an Mann, seltener der Frau, getragen.
    Da Besteck in der Regel selten war, hatte man, ale es etwas zu essen geben immer seinen Löffel dabei.
    Verstarb so jemand, z. B. bei einem Kampf, ging dessen Besitz in den Besitz des anderen über.
    Man hatte also seinen Löffel abgegeben.

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