Reden ist Schweigen, Silber ist Gold – Warum wir uns ständig versprechen
Zum Aufwärmen: Wenn Politiker sich versprechen …
Sie begegnen uns auch in den unpassendsten Momenten – wir denken an eine Sache, konzentrieren uns auf unsere Aussprache, wollen alles richtig machen und vielleicht noch etwas besser. Und schon ist es passiert, wir haben uns versprochen.
Während des Sprechens wählen wir sekündlich zwei bis fünf Mal aus den durchschnittlich 30.000 Wörtern unseres aktiven Wortschatzes aus. Hochgerechnet sprechen wir also 150 Wörter pro Minute, bei ca. jedem tausendsten kommt es zu einem Versprecher. Verschont bleibt niemand – nicht einmal Sprecher der Gebärdensprache.
Ein Versprecher bezeichnet eine unbeabsichtigte sprachliche Fehlleistung, deren Hauptursache im Durcheinander der Sprachplanung liegt. Sie beruhen auf der nahen Ablage der Wörter in unserem mentalen Lexikon sowie dem fälschlichen Aktivieren anderer Wörter. Vorzustellen ist sich dies wie eine Art Rechenvorgang. Das Geplante muss zeitgemäß berechnet bzw. zusammengestellt werden, damit es richtig ausgesprochen werden kann. Wie beim Kopfrechnen können auch hier Fehler geschehen.
Sich zu versprechen, ist demnach vollkommen normal und stellt kein Grund zur Sorge dar, solange es sich in dem oben genannten Rahmen bewegt. Können Kleinkinder die Laute und die Grammatik, die sie alterstypisch beherrschen sollten (wobei auch dies immer Normwerte sind), nicht korrekt zuordnen oder keine vollständigen Sätze bilden, kann ein Logopäde zu Rate gezogen werden. Oft reichen schon kleine „Anstupser“, um den Kindern zu helfen und ihre Entwicklung voranzutreiben.
Versprecher ist nicht gleich Versprecher, denn paradoxerweise sind die natürlichen, ungeplanten Fehlleistungen kategorisierbar. So gibt es Versprecher, bei denen Laute, Wortbestandteile oder ganze Wörter vertauscht werden wie etwa in unserem Video oben bei Hans-Ulrich Kloses Versprecher „Wir pfeifen nicht nach ihrer Tanze“. Oft treten aber auch Versprecher auf, bei denen Laute genutzt werden, die eigentlich für kommende Wörter geplant waren. Es kommt zum sogenannten Vorklang der Laute, ganz nach dem Motto: „Das Gelbe in Grün“ („Dasselbe in Grün“). Häufig tritt aber auch ein Nachklang auf und Einheiten, die noch aktiviert sind, werden erneut gesprochen. Aus „sozialistischen Sekten“ können so schnell „sozialistische Zekten“ werden.
Wörter können außerdem auch aufgrund von Formähnlichkeit oder Bedeutungsverwandtschaft vertauscht werden. Wörter also, die beispielsweise die gleiche Silbenanzahl oder den gleichen Anfangsbuchstaben haben. Aus einem „schönen Versprecher“ kann so schnell ein „schöner Verbrecher“ werden und aus dem geplanten „Nichtraucherbereich“ in Verbindung mit dem strukturell ähnlichen „Nichtschwimmerbecken“ ein „Nichtraucherbecken“ – ups!
Es können aber auch zwei Wörter zusammengefügt werden, die als Alternativen zeitgleich aktiviert werden. Wenn also jemand sagt: „Das ist gul“, handelt es sich dabei nicht unbedingt um einen Kandidaten für das neue „Jugendwort des Jahres“. Vielleicht hat er oder sie auch einfach nur die Wörter „cool“ und „gut“ fälschlicherweise vermischt. Fest steht für Versprecher in jedem Fall: Der Wortart bleiben sie treu. Verb bleibt Verb und wird nicht zum Substantiv. Und wenn einzelne Laute betroffen sind wie bei dem Wort „Wesserbisser“, wird deutlich, dass Vokale nicht durch Konsonanten ersetzt werden können und andersherum. Und auch die Intonationskontur, die separat konstruiert wird, muss erhalten bleiben. Sie kann weder im Wort noch im Satz „versprochen“ werden. Daher befand Lukas Podolski auch einst, dass sie für das nächste Spiel zunächst mal die „Köpfe“ hochkrempeln müssten.
Solche Versprecher können einer Äußerung also einen gänzlich anderen Sinn geben. Wenn das geplante Wort „fit“ auf einmal zu „fett“ wird, sprechen wir auch gerne von einem Freud’schen Versprecher. Aufschluss über unser Unterbewusstes bringen aber nur wenige unserer Versprecher. Aber warum versprechen wir uns denn sonst?
Es gibt viele Ursachen, die dazu führen, dass wir den eigentlich geplanten Sprechverlauf so nicht ausführen können. Die falschen Wörter kommen uns aber meist aufgrund ihrer lautlichen und begrifflichen Ähnlichkeit mit den Gemeinten in den Sinn. Und zwar, obwohl wir in den jeweiligen Momenten oftmals an etwas gänzlich anderes gedacht haben. Dies geschieht, weil wir einerseits möglichst schnell und effizient sprechen wollen, andererseits die Wörter in unseren mentalen Lexika oft nahe beieinander liegen.
Sicher ist es dem ein oder anderen zudem schon aufgefallen, dass wir uns eher versprechen, wenn wir in einer ungewohnten, nicht harmonischen Umgebung oder wir aufgeregt sind. Bei Live-Sendungen kommt es mithin zu Beginn öfter zu Versprechern, da die Sprecher dann meist angespannter und nervös sind. Auch Müdigkeit, innere Zerstreutheit und Ablenkung führen dazu, dass wir häufiger andere Wörter als geplant aktivieren oder Laute zu früh sowie erneut aussprechen.
Kleinere Versprecher geschehen meist unbemerkt, entweder weil eindeutig ist, was der Sprecher meint, oder weil sie keinen großen Bedeutungsunterschied für das Gespräch haben. Größere Versprecher, die das Gespräch in eine andere Richtung lenken könnten, werden häufig erkannt und repariert, da sie den Gesprächsfluss sonst unterbrechen und für Missverständnisse oder Unklarheiten sorgen könnten.
Wenn wir uns versprechen, stehen uns Reparaturmechanismen zur Verfügung, welche uns die Möglichkeit geben, etwas zu verbessern, was so nicht geplant bzw. gewollt war. Neben den Versprechern könnten dies zum Beispiel auch Unterbrechungen sein. Meist ist es so, dass der/die Sprecher*in den „Fehler“ selbst erkennt und darin übergeht, ihn zu korrigieren. Wenn wir also merken, dass wir uns versprochen haben, setzen wir im Anschluss oft intuitiv erneut an, um den Fehler zu berichtigen.
Fazit ist also: Versprechen wir uns, gibt es keinen Grund zur Sorge, denn Versprecher sind vollkommen normal und wir haben meist recht unauffällige Strategien, um mit ihnen umzugehen. Wenn man es nicht schon längst getan hat, sollte man also am besten lernen, sie zumindest zu akzeptieren. Besser noch: Erfreuen wir uns an den manchmal herrlich lustigen Dingen, die wir so sagen!
Auch wenn wir uns im Nachhinein leider nur selten und schwer an sie erinnern können: Was waren eure besten Versprecher? Und woran wollt ihr euch besser nicht erinnern? … Mein Favorit: „Zahlen sie bar oder getrennt?“
Autorin: Julia Nebe
Guten morgen.
Viele Dank für diesen sehr gelungene linguistik Blog, der sich in vielen Situationen des Lebens in der Tat exakt so darstellt und hier sehr gut analysiert ist. Beste Grüsse an die Autorin Julia Nebe.