Von einem, der fehlt …
Manchmal am Abend konnte man in unserem Büro hören, wie die Tür des Nachbarbüros aufgeschlossen wurde. Später stand da, an den Stuhl angelehnt, eine braune Ledertasche. Ihr Besitzer, der allgemeine Sprachwissenschaftler und ehemaliger Inhaber der Lehrstuhls für Germanistische Linguistik an der RUB, Herr Prof. Dr. Roland Harweg, veranstaltete in diesem Moment ein Oberseminar für seine ehemaligen Schüler oder erledigte seine Post, die aus aller Welt kam und in alle Welt ging. Seine Tasche wird nun aber nie mehr in unserem Büro stehen. Roland Harweg ist kurz vor Ostern verstorben. Mit ihm ist nicht nur ein bedeutender und charismatischer Universalgelehrter gegangen, der nur unter vielem anderen Mitbegründer der Textlinguistik war, sondern auch der Geist einer anderen Zeit. So lautete sein Leitspruch: „Suaviter in modo, fortiter in re – Hart in der Sache, verbindlich in der Vorgehensweise”. Damit ist die Welt nicht nur um einen scharfsinnigen Denker, sondern auch um einen liebenswürdigen und humorvollen Menschen ärmer.
Prof. Harweg ist – sicher ohne Vorsatz und vielleicht auch ohne sich dessen je bewusst gewesen zu sein – einer derjenigen Menschen gewesen, die Weichen gestellt haben in meinem Leben. Ganz wie zufällig. Zu Beginn meines Germanistik-Studiums in den frühen siebziger Jahren wenig orientiert, aber erpicht darauf die Alten Sprachen so weit wie möglich zu vermeiden, habe ich mich in eine seiner Vorlesungen zur neueren deutschen Grammatik verirrt, ohne dass mich die Thematik auch nur im Geringsten interessiert hätte. Aber seine Art, Vorlesungen nach oft nur wenigen Minuten mit den ersten Rückfragen zu einem lebhaften Diskussionsforum werden zu lassen, haben die Sache doch recht interessant gemacht. Und sein trocken humorvoller Stil in Vorlesungen und Seminaren hat mich schnell dazu verführt mich auf diese Themengebiete einzulassen. So wurde die synchrone Sprachwissenschaft bald zu DER Leidenschaft meines Studiums und blieb es auch darüber hinaus. Die zeitweise sehr intensive Beschäftigung mit dieser Disziplin hat mein Leben über viele Jahre sehr bereichert und den Zugang verdanke ich ohne jeden Zweifel ihm.
Das Exemplar seiner eigenen Doktorarbeit, das er mir anlässlich meiner Promotion überreicht hat, signiert er unter anderem mit den Worten: … von seinem „Doktorvater“, den er in Anführungszeichen setzt unter Anspielung auf die Tatsache, dass dieser Begriff wohl etwas aus der Mode gekommen sei. Ich habe später stets, wenn die Rede darauf kam, von ihm als meinem Doktorvater gesprochen, ganz ohne Anführungszeichen – und mit Stolz!
Klaus Sennholz, Berlin