Mit Sprache die Welt verändern – Die Wirkmechanismen sprachlichen Handelns
Hiermit erkläre ich euch zu Frau und Frau. Du darfst die Braut nun küssen. David (5) hat soeben seine Kindergartenfreundinnen Marie (4) und Jana (5) getraut. Eine Kinderehe, geschlossen von einem Fünfjährigen – sowas geht doch in Deutschland gar nicht! Uns ist allen klar, dass die soeben vollzogene Hochzeit weder vor der Kirche noch vor dem Staat irgendeinen Anspruch auf Gültigkeit hat. Aber warum ist das so? Schließlich werden Ehen sonst ja auch „nur“ durch Worte geschlossen.
Hochzeit oder Heiraten ist nach wie vor ein beliebtes Spiel im Kindergartenalter; ist die Ehe für viele doch auch heute noch ein zentrales Lebenspartnerschaftskonzept. Wenn aber geheiratete wird, dann gibt es bestimmte Formeln mit einem festen Wortlaut, die gesprochen werden müssen. Den Kindern fällt es oft nicht allzu schwer, den Wortlaut des Geistlichen von der letzten Hochzeit, auf die sie ihre Eltern begleitet haben, zu imitieren – die Wirkung der Worte bleibt am Ende aber aus.
Anders ist es aber zum Beispiel, wenn David Marie seine Bausteine schenken möchte und sagt Hiermit schenke ich dir meine Bausteine. Allein die Äußerung der Worte ändert etwas an dem Besitzverhältnis der Bausteine, hat also Auswirkungen auf die Wirklichkeit.
Mit Äußerungen kann man also Handlungen vollziehen, die wirklichkeitsverändernd sind. Eine Idee, die in den 50er Jahren vor allem durch die Forschungen des Sprachphilosophen John Austin das philosophische Dogma ablöste, dass Worte allein zur Beschreibung der Welt dienen würden. Seine Sprechakttheorie besagt, dass mit jeder sprachlichen Äußerungen (einem Sprechakt) auch immer gehandelt wird, also aktiv auf eine Veränderung in der Welt abgezielt wird – wie groß oder klein diese Veränderung dann ist, ist eine ganz andere Frage.
Der Herd ist heiß ist also niemals nur eine reine Feststellung, sondern immer auch eine Informationsgabe, die verschiedene Funktionen haben kann. In der Regel handelt es sich bei diesem Sprechakt um eine Warnung Pass auf – der Herd ist heiß! Je nach Situation kann sie aber auch genauso gut als Empfehlung gemeint sein, also im Sinne von Du kannst die Herdplatte schon nutzen – die ist heiß.
Ein Sprechakt selbst setzt sich aus verschiedenen Teilakten zusammen, so beinhaltet er u.a. die laut- bzw. schriftsprachliche Umsetzung der Äußerung (Ich sage: „Der Herd ist heiß!“) sowie die inhaltlich beschreibende Ebene (Dem Herd wird das Attribut heiß sein zugeschrieben). Aus Perspektive der Sprechakttheorie ist aber insbesondere die Äußerungsintention des Sprechers wichtig: Was möchte ich mit meiner Äußerung beim Hörer erreichen? Möchte ich ihn z.B. informieren, bestärken, ihm etwas versprechen oder ihn bedrohen? Oder aber auch vor einer heißen Herdplatte warnen?
Ob mit Der Herd ist heiß nun jemanden gewarnt oder ihm etwas empfohlen werden soll, zeigt sich aber eben nicht unbedingt in der sprachlichen Form der Äußerung, sondern ist immer auch abhängig von dem Ziel, dass der Sprecher mit seiner Äußerung verfolgt. Ob die gewünschte Reaktion beim Empfänger der Nachricht dann auch eintritt, bleibt aber offen. Wenn ich mit Der Herd ist heiß also jemanden warnen möchte, kann es sein, dass er sich dennoch an der heißen Herdplatte verbrennt, weil er die Warnung nicht als solche wahrgenommen hat – wir reden eben doch häufiger aneinander vorbei, als gesund ist.
Auch die Situation von Marie und Jana zeigt, dass die mit einem Sprechakt beabsichtigte Wirkung auf die Welt nicht unbedingt eintreten muss; die beiden sind ja nun nicht wirklich verheiratet – aber woran liegt das? An der Kommunikation untereinander ist es ja scheinbar nicht gescheitert.
Sprechakte unterliegen verschiedenen Konventionen und Bedingungen. Manchmal sind das institutionelle Vorgaben, die erfüllt werden müssen. So setzt eine Heirat beispielsweise voraus, dass eine von Amtswegen befähigte Person anwesend ist, die die Ehe schließt, genauso aber auch, dass das Brautpaar ein Mindestalter von 16 bzw. 18 Jahren hat und nicht bereits verheiratet ist.
David ist aber von Amtswegen nicht befähigt, Ehen zu schließen. Und auch Jana und Marie erfüllen die Voraussetzungen aufgrund ihres Alters nicht. Der reine Gebrauch institutioneller Formeln ändert also nichts an der Wirklichkeit – zumindest nicht in der beabsichtigten Form.
Außerdem gibt es auch Konventionen, die wir zumeist eher unbewusst einhalten und die mit unserem eigenen Verhalten zusammenhängen. Ein schönes Beispiel: Die Entschuldigung. Kaum einer würde ein Ich entschuldige mich, du bist keine Niete, sondern eine Flasche als vollwertige Entschuldigung annehmen. Die Prozedur, dass man bei einer Entschuldigung das zuvor Gesagte oder Getane zu korrigieren oder abzuschwächen pflegt, wird mit dieser Äußerung wohl kaum erfüllt.
Ob wir aber die Art der Veränderung hervorbringen, die wir mit unserem Sprechakt beabsichtigt haben oder etwas anderes, liegt nur selten in unserer Hand. Durch das Befolgen der verschiedenen sprachlichen Konventionen machen wir es uns und unseren Mitmenschen jedoch zumindest deutlich einfacher, reibungslos und missverständnisfrei zu kommunizieren.
David kann Marie also problemlos seine Bauklötze schenken, weil sie dabei alle notwendigen Bedingungen und Konventionen erfüllen. Schließlich ist David der Besitzer der Bauklötze und gibt sie Marie freiwillig.
Dass die Eheschließung von Marie und Jana nun fehlschlägt – eben weil nicht alle notwendigen Bedingungen und Konventionen erfüllt werden – ist wahrscheinlich zu ihrem Besten. Haben Erwachsenenehen 2018 schon eine Scheidungsquote von 32,94%, wie mag das dann wohl bei Kindergartenkindern in der Trotzphase aussehen …
Autorin: Lea Hamann
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