‘Pizzen’ oder ‘Pizzas’! – Wie sprachliche Zweifelsfälle unsere Sprache auf den Kopf stellen

Für gewöhnlich sind wir in unserer Muttersprache sicher unterwegs. Unser Sprachgefühl überwindet fast alle Hürden. Selbst wenn wir uns unschlüssig sind, haben wir oft gute Strategien. Aber es gibt Momente, in denen wir über Phänomene der Sprache stolpern. Wir sind uns unsicher, ob das eine oder das andere korrekt ist, weil beide Varianten gebräuchlich sind, und verstehen die Hintergründe der Zweifel nicht. In der Linguistik nennt man dieses Phänomen Sprachliche Zweifelsfälle.

Solche Zweifelsfälle existieren auf allen Ebenen der Sprache. Wer hat sich nicht schon einmal gewundert, wieso einige Menschen Pizzas und andere Pizzen sagen und ob wirklich beide Formen korrekt sind. Und wenn ja, warum? Oder warum existieren eigentlich so seltsam anmutende Präteritumsformen wie ich buk und ist dann ich backte ebenfalls korrekt? Man mag sich auch fragen, ob Worte und Wörter weithin dasselbe sind oder ob sie vielmehr in verschiedenen Kontexten genutzt werden und es deshalb zwei Pluralbildungen gibt.

Sehen wir uns einige Fälle mal genauer an.

Pizzen vs. Pizzas

Warum steht im Duden, dass beide Formen korrekt sind? Ist es also eine stilistische Frage? Und ist Pizzen sozusagen ‘deutscher’?

Die Pluralbildung im Deutschen funktioniert mittels verschiedener Endungen (Flexive genannt) – Elemente, die an den Wortstamm (der unveränderliche Teil eines Wortes) treten. So wird an Welt das Pluralflexiv -en angehängt und schon hat man zwei Welten. An Gefühl wird das -e angehängt und an Auto das -s. Bei einigen Wörtern wird dabei der Wortstamm leicht verändert (Bank→Bänke). Diese Flexive entstanden übrigens durch sprachliche Wandelprozesse zwischen dem Alt- und Mittelhochdeutschen; andere Flexive sind aber noch älter. Pizza ist jedoch ein entlehntes Fremdwort aus dem Italienischen, dessen Plural dort pizze lautet. Da diese Pluralbildung im Deutschen so nicht existierte, fand sich ein Mittelweg: Man bildet aus dem italienischen pizza, welches genau so übernommen wurde, einen deutschen Plural: Pizzas. Das typisch deutsche Flexiv -en lässt sich nämlich nicht so einfach an das a von Pizza anhängen. Da man jedoch auch aus Villa → Villen und aus Atlas → Atlanten bildet, hat diese Form der Fremdwortintegration des Plurals Bestand. Und so stehen wir nun vor der Wahl: Pizzas oder Pizzen?

ES MÜSSTE EIGENTLICH *PIZZAEN LAUTEN.

Eine häufige Begründung für die Wahl von Pizzen ist eine stilistische. -en sei gehobener und wer es nütze, sei sprachlich gebildeter oder es höre sich besser an. Das liegt daran, dass der -s-Plural häufig an Fremdwörter antritt (Videos, Restaurants, Cafés…) und somit als ‚undeutsch‘ gilt. Allerdings gibt es auch viele deutsche Wörter, die mit dem -s-Plural gebildet werden (Kuckucks, Achs und Wehs, die Mozarts dieser Welt sowie älter Jungens, Engels, Onkels). Zudem ist er auch sehr einfach zu benutzen (er tritt einfach ans Wort an), wohingegen -en bei Fremdwörtern häufig das Wort verändert (TaxisTaxen). Man könnte also sagen, dass es sprachlich etwas komplizierter ist, den -en-Plural zu verwenden und man bei seinem Gebrauch als kompetenter angesehen werden könnte – wobei -en bei deutschen Wörtern, also keinen Fremdwörtern, unproblematisch angewandt wird (BärBären, Welt→Welten, Lösung→Lösungen). Dem steht jedoch gegenüber, dass der -en-Plural für diese Fälle systematisch eher untypisch ist. Er tritt nämlich an die Basis eines Wortes und verändert diese nicht, wie wir bei den Beispielen gesehen haben; es müsste eigentlich *Pizzaen lauten.

Und hier kommen wir zu einem sehr wichtigen Punkt bezüglich der Zweifelsfälle: Sprache ist nicht homogen. Die systematischen Regelungen richten sich nach der Sprache und nicht andersherum. Da also Sprache aufgrund verschiedenster Gründe entsteht, gebraucht wird und sich stetig verändert, ist es gar nicht so wunderlich, dass einige Regeln oder Systematiken nicht funktionieren. Und doch fragt man immer nach dem Warum und begründet seine Entscheidungen der Sprachnutzung für gewöhnlich mit dem Sprachgefühl und Fällen, die ähnlich zu sein scheinen.

Beide Pluralflexive haben also ihre Berechtigung in unserer Sprache und auch lange Tradition in ihrer Verwendung. Es gibt Gründe, wieso diese und andere (Plural-)Flexive entsprechend auftreten, nur scheinen sie in diesen Fällen nicht einwandfrei zu greifen. Insbesondere Fremdwörter machen es uns offenbar schwer, sich für einen Plural zu entscheiden. Beispiele dafür sind zum Beispiel Saldo, Konto, Balkon und Globus. Bildet man nun Saldi oder Salden, Kontos oder Konten, Balkons oder Balkone, Globusse oder Globen? Und zu all diesen sprachsystematischen Überlegungen kommt dann noch folgender Aspekt: Prestige. Wenn eine kompliziertere Variante benutzt wird, hat es vermutlich immer mit Prestige zu tun. Hast du nicht auch schon einmal bewusst und wohl überlegt den Konjunktiv anstelle von ‚würde‘ verwendet? Sagst du nicht auch lieber Pizzen, weil es irgendwie ‚schöner‘ oder ‚intelligenter‘ klingt?

Unser Fazit: Wenn Wörter aus anderen Sprachen eingedeutscht werden, bietet uns die deutsche Sprache manchmal verschiedene Möglichkeiten der Pluralbildung an. Da sich hier keine einwandfreie, einfach zu erklärende Systematik oder Regelmäßigkeit finden lässt, werden andere Gründe gesucht, um eine der beiden Varianten zu bevorzugen. In manchen Fällen, z. B. bei Drache/Drachen und Worte/Wörter, werden beide Varianten semantisch unterschieden, obwohl solch eine Unterscheidung sprachhistorisch nie getroffen wurde; sie entstand allein aus der Problematik des Zweifelsfalls heraus. Am Ende bleibt: Es ist beides möglich und beides korrekt.

Ich buk vs. ich backte

Es gibt schon eigenartige Präteritumsformen: waschen→wusch, genesen→genas, hauen→hieb und dergleichen mehr. Vokale werden geändert, die Endung gestrichen und manche Präteritumsformen haben lediglich den Anfangsbuchstaben gemein (hieb, buk…). Im Deutschen unterscheiden wir zwischen sogenannten starken, schwachen und gemischten Verben. Letztere betrachten wir der Einfachheit halber als Ausnahme; an sich weisen sie Merkmale der starken und schwachen Verben auf. Bei diesen beiden Klassen ist die Vokalveränderung das ausschlaggebende Unterscheidungsmerkmal. Zum Beispiel geh-enging (stark) und spiel-enspiel-te (schwach).

DIE STARKE FLEXION SCHWINDET ALLMÄHLICH.

Die Gründe für die Existenz von starken und schwachen Verben liegen im Sprachwandel während früher Stadien der deutschen Sprache und gehen weit zurück. Zusammengefasst kann man sagen, dass sprachliche Änderungen für diesen Wandel verantwortlich waren und im Zuge dessen neue Verben ebenfalls schwach flektiert wurden, wodurch der Trend bestärkt wurde. Letztlich sorgte das Hin und Her in der Flexion für eine Veränderung, die in einigen Fällen auch derzeit noch im Gange ist. Die starke Flexion schwindet allmählich. Am aktuellen Beispiel kann man es gut sehen: buk vs. backte. Die starke Variante (buk) ist gerade schriftsprachlich noch recht aktiv (solche Informationen kann mittlerweile übrigens jeder Interessent über Online-Textkorpora einholen; z. B. unter https://www.dwds.de/r). Bei anderen Fällen merkt man jedoch, dass sie immer seltener benutzt werden. Einige davon wurden so selten, dass man sie kaum noch versteht. Wenn jemand jemanden hieb, oder eben gehauen hat, könnte man es entweder gar nicht verstehen oder an »heben« denken. Dass ich das Fleisch briet, mag noch als gebraten haben verstanden werden, hört sich aber wohl ebenso fremd an wie die Aussage: sie schalt ihren Sohn (also von »schelten«).

Aber was geschieht mit Wörtern wie sein oder sehen? Dass sich *ich sehte etablieren könnte, kann sich vermutlich niemand vorstellen. Wie sein schwach flektieren könnte, ist noch schwieriger vorzustellen. Das liegt daran, dass sehr früh erlernte und häufig benutzte Wörter so stark in unserem Sprachbewusstsein verankert sind, dass diese sich nur selten wandeln. Hingegen ist ein Wort wie weben (→wob/webte) kaum präsent, da es ein nahezu rein industrieller Vorgang ist, der uns in unserer Gesellschaft kaum noch berührt. Andere Wörter wiederum werden schlichtweg seltener verwendet und dann also vor allem schwach gebeugt. Es ist also anzunehmen, dass beispielsweise sein immer stark flektieren wird. So wird man vermutlich auch in 100 Jahren noch sagen: »Ich bin«, »du bist«, »er/sie/es ist« usw. Viele andere Verben werden jedoch schwach flektieren und deren starke Variante wird aussterben. Einige befinden sich bereits im Prozess – hast du dich schon einmal gefragt, warum dir das Partizip ich habe Staub gesogen merkwürdig vorkommt? Ich sog hingegen, ebenso wie ich buk,parallel zu ich saugte bzw. ich backte steht? In einigen Fällen ist der Wandel bereits abgeschlossen: faltenfaltete (ehemals fielt), nagen→nagte (ehemals nug) und andere. Für eine, sozusagen, Wiederaufnahme dieser ehemals stark flektierten Wörter setzt sich übrigens »Die Gesellschaft zur Stärkung der Verben« ein. Dort kann man Listen von Verben finden, welche wieder eine starke Flexion erhalten sollen. Dass sich Sprache allerdings verändert, ist ganz natürlich und geschieht zu jeder Zeit. Starke und schwache Flexion bei Verben (übrigens auch bei Substantiven) ist davon nicht ausgeschlossen. Wie man diese Entwicklung bewertet, ist jedem selbst überlassen. Solche Veränderungen lassen sich aber für gewöhnlich nicht aufhalten. Die Frage ist also, wie man damit umgeht. Hinsichtlich der sprachlichen Normierung lassen sich derzeit parallel zueinander existierende Formen problemlos verwenden. Ob die schwache Flexionsvariante unschön oder ähnliches sei, kann nur jeder für sich beantworten. Sprachhistorisch lässt sich jedoch feststellen, dass Änderungen in der Sprache immer kritisch betrachtet wurden. Einige Fälle, die heute ganz normal sind, wurden zu bestimmten Zeiten ebenso ungern gesehen wie der derzeitige Trend der schwachen Verbflexion.

Grammatisch vs. grammatikalisch

Wenn Nomen zu Adjektiven umgeformt werden, treten Suffixe (also bestimmte Endungen) an die so genannte Basis eines Wortes an. So wird also aus:

Logik logisch,

Chemie chemisch,

Physik physikalisch und aus

Grammatik grammatisch – oder grammatikalisch?

Wieso kann man scheinbar beides bilden, jedoch nicht *logikalisch? Es wäre möglich, dass eines von beiden tatsächlich falsch ist. Der Duden sowie andere Wörterbücher führen jedoch beides synonym zueinander auf. Vielleicht gibt es beide Wörter, aber sie werden in verschiedenen Kontexten verwendet? Im Duden der Zweifelsfälle steht dazu, dass die Bedeutung gleich sei, grammatisch jedoch nur fachsprachlich verwendet würde. Andere Wörterbücher bestätigen das aber nicht und auch Textkorpora nicht (du erinnerst dich an die vorhin empfohlene Seite https://www.dwds.de/r). Unternehmen wir mal einen Blick in die Vergangenheit.

Wenn man die Wortherkunft untersucht, stößt man auf eine Mehrfachentlehnung.

Sprachhistorisch trat grammatisch vor grammatikalisch auf. Erste Einträge lassen sich im 16. Jahrhundert finden. Beide Varianten wurden danach gleichwertig verwendet, bis im 17. Jahrhundert grammatikalisch häufiger verwendet wurde. Im 19. Jahrhundert wurde grammatikalisch dann als veraltet bezeichnet und immer weniger verwendet. Heute hat man den Eindruck, dass grammatikalisch häufiger verwendet wird. Etymologisch, also wenn man die Wortherkunft untersucht, stößt man auf eine Mehrfachentlehnung. Zum einen kann man den Ursprung im Lateinischen grammaticus finden – daraus wurde grammatisch – und zum anderen im Französischen grammatical finden – was wiederum aus dem Lateinischen grammaticalis kommt –, daraus wurde grammatikalisch.

Beide Varianten wurden also auf zwei Arten entlehnt. Nachdem sich einmal beide in der Sprache festgesetzt hatten, wurden sie parallel zueinander benutzt, bis man schließlich Gründe suchte, sich für eines zu entscheiden. So hat Adelung, ein Germanist im 18. Jahrhundert, grammatikalisch für veraltet erklärt. In der Gegenwart wird eine semantische Differenzierung vorgenommen und unterstellt, dass grammatisch ‘grammatisch korrekt’ bedeute und grammatikalisch ‘Grammatik betreffend’.

Welchen Schluss ziehen wir?

Die seit dem 17. Jahrhundert bestehende Sprachstandardisierung (mit dem Ziel, das Deutsche überregional, stilistisch neutral und homogen zu verwenden) evozierte eine Richtig-Falsch-Ideologie. Und auch während des Spracherwerbs und in der Schule wird beigebracht, was korrekt und was falsch ist. Hierdurch erklärt sich der Wunsch nach Aufklärung. Welche Variante ist nun richtig? A oder B? Sprachliche Zweifelsfälle resultieren aber aus sprachlichen Wandelprozessen, die nicht 100 %ig gleich verlaufen sind. Durch bestimmte Prozesse wurden z. B. Endungen getilgt und einige umgedeutet (so bei vielen Pluralformen), Laute wandelten sich, neue Bildungsparadigmen entstanden und so weiter.

Bei Zweifelsfällen existieren zwei Varianten nebeneinander, bis dass eine ausstirbt. Da wir selbst unsere Sprache jedoch normieren, muss es für alles eine Erklärung geben. An fast allen Zweifelsfällen kann man erkennen, dass ursprünglich nie eine Unterscheidung zwischen beiden Varianten existierte. Der sprachliche Wandel unserer lebendigen Sprache führte zu der Entwicklung beider Varianten. Wir Sprecher sorgen letztlich dafür, dass wir uns für eine Variante entscheiden (backte statt buk) oder differenzieren (Drache und Drachen). Manchmal gelingt das aber einfach nicht und man weiß nicht, was man mit Wörtern wie grammatisch/grammatikalisch oder aufgehängt/aufgehangen usw. machen soll. Wer weiß das schon. Eines können wir aber wissen: Sprache ist lebendig und wird sich immer verändern – ob einem oder der Gesellschaft zur Stärkung der Verben das gefällt oder nicht. Es wird immer Varianten geben, die nicht ins System passen.

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Autor: Dominik Godt

  • Schöner Artikel, vielen Dank!
    Mir ist auch in der Werbung aufgefallen:
    Vertrag monatlich /kündbar/
    Da Adjektive mit dem Suffix -bar aber vom Wortstamm +bar gebildet werden (ess-bar, mach-bar), müsste es eigentlich ‚kündig-bar‘ heißen, oder?
    Vielleicht clasht das damit, dass das -ig im Stamm stört, weil es ebenfalls ein Adjektivsuffix ist?
    Wieauchimmer, ich mag den Ansatz, dass nicht alles erklär-bar und normiert werden muss.

    • Hallo Susann,

      vielen Dank. Es freut uns, dass es dir gefallen hat.
      Du hast Recht. Für gewöhnlich wird der Verbstamm genommen und daran das Suffix -bar gehängt. Leider kann ich dir auf Anhieb nicht erklären, wieso Verben auf -ig hier und da „Probleme“ machen. Es wird sich allerdings damit in der Linguistik beschäftigt. Einige Linguisten schreiben dazu sogar, dass Verben auf -ig nicht mit -bar suffigiert werden könnten, allerdings gibt es ja auch folgende Formen: /beschleunigbar/ oder /rechtfertigbar/ (wohingegen */rechtfertbar/ nicht existiert).
      Wenn es dich wirklich interessiert, ist ein Artikel von Siebert (1999): Syntaktische Restriktionen in der Struktur komplexer Wörter. In: ‚Wortbildung und Grammatik‘ lesenswert, der jedoch schon sehr tief in die Materie geht und einiges Vorwissen voraussetzt. Man findet Ausschnitte davon übrigens bei Google Books, wie ich gerade gesehen habe: Siebert

      Aber in jedem Fall ein sehr schönes Beispiel 🙂

    • Hallo Matthias,

      vielen Dank für den Hinweis. Ich habe mir das Video noch nicht zu Ende angesehen (oder vielmehr angehört), aber während ich es höre, wollte ich trotzdem antworten. 🙂
      Dort werden wirklich wichtige Punkte angesprochen, die man nicht vergessen sollte. Mir gefällt, wie der Sprecher auf einige Fälle eingeht, die gerade in der Populärwissenschaft die Runde in der Gesellschaft gemacht haben und dass er einige mutige Aussagen etwas aueinandernimmt.

      Aber eines muss ich anmerken: Im Text steht nicht „verschwinden“, sondern „schwinden“ – heißt also, sie werden weniger. Und das kann man auf jeden Fall beobachten. Ich schrieb auch bewusst, dass viele starke Verben vermutlich nie verschwinden werden (z. B. sein).

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