“I´ll go there übermorgen” – wenn Kinder mehrere Sprachen sprechen

„Regarde cookie“ („guck, (ein) Keks“), sagt die 2-jährige Jennifer und zeigt auf den Keks vor sich. Dass sie beide Sprachen in einem Satz gleichzeitig anwendet, ist keine Seltenheit, denn Jennifer lebt in Montreal und wächst wie hier viele Kinder bilingual auf mit ihrer französischsprachigen Mutter und ihrem englischsprachigen Vater. Die bilinguale Stadt ist daher ein idealer Standort für linguistische Studien zur Zweisprachigkeit.

Schätzungsweise sprechen ca. 60 bis 75% der Weltbevölkerung wie Jennifer im Alltag zwei Sprachen, sind also bilingual. Die Gründe hierfür sind vielfältig, aber häufig führen Ehen zwischen Partnern verschiedener Kulturen und Migration dazu, dass Kinder mit mehreren Sprachen aufwachsen. Anders als Jennifer erwerben viele Kinder die entsprechenden Sprachen allerdings nicht gleichzeitig, sondern oft kommt die zweite Sprache erst später dazu, z.B. mit dem Eintritt in den Kindergarten.

Man weiß heute, dass der Mensch von Natur aus prinzipiell mehrsprachig ist. D.h. dass auch mehrere Erstsprachen grundsätzlich vollständig erlernbar sind. Sind die Bezugspersonen  wie im Fall von Jennifer – zweisprachig, eignen sich Kinder intuitiv zwei Sprachsysteme an. Im Gespräch mit ihren Bezugspersonen erlernen sie so auf der Basis von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, die sich im Frühkindalter herausbilden sie erkennen so z.B., dass das Gegenüber eine Intention verfolgt, wenn es etwas sagt , wie man in einer konkreten Sprache mit Hilfe von spezifischen Mustern und Ausdrücken kommunizieren kann. Da es für die Kinder notwendig ist, dass sie z.B. ihre eigenen Bedürfnisse versprachlichen können und verstanden werden, lernen sie in einer mehrsprachigen Umgebung eben auch die Muster und Ausdrücke verschiedener Sprachen.

Und auch, wenn ein bilingualer Spracherwerb lange Zeit im Verdacht stand, für die Kinder nachteilig zu sein, vertreten Sprach- und Bildungswissenschaft heute eine ganz andere Meinung zu diesem Thema. So hält z.B. der Hamburger Sprachwissenschaftler Jürgen Meisel fest, dass Bilingualität die Kinder nicht wirklich beeinträchtige. Ja, mehr noch: Der bilinguale Spracherwerb ist für ihn ein Glücksfall. Schließlich ist mittlerweile ist eindeutig belegt, dass Bilingualität den entsprechenden Kindern allgemeine kognitive und auch soziale Vorteile einbringt.

Bilinguale Kinder lernen so schon sehr früh, verschiedene Sprachsysteme beim Sprechen miteinander zu koordinieren oder aber auch, eine ihrer Sprachen zu unterdrücken, wenn die Gesprächspartner sie nicht beherrschen. Dieser Vorgang impliziert eine gute (sprach-)kognitive Regulation und Kontrolle. Und so verfügen bilinguale Kinder im Vergleich zu monolingualen Gleichaltrigen auch über verbesserte allgemeine kognitive Fähigkeiten. Sie können so z.B. ihre Aufmerksamkeit besser steuern und sind kognitive flexibler.

Hinzu kommt, dass Kinder, die bilingual aufgewachsen, auch leichter weitere Sprachen lernen können. Schließlich sind sie kognitiv gut auf das Sprachenlernen vorbereitet. Durch die häufige Nutzung der entsprechenden Hirnregion unterscheiden sich die Dichte und Vernetzung ihrer grauen Zellen wesentlich von derer einsprachiger Menschen. Diese Areale im Gehirn von mehrsprachig aufwachsenden Kindern sind damit leistungsfähiger. Beim Erwerb mehrer Sprachen im Kleinkindalter überlappen sich außerdem die entsprechenden Sprachareale im Gehirn noch, sodass weniger Gehirnsubstanz beim Sprechen beider Sprachen aktiviert werden muss als beim Erwerb einer Zweitsprache im fortschreitenden Alter. 

Bilinguale Kinder verfügen so also über die Kompetenz, zwei Sprachstrukturen effektiv zu nutzen. Eine der beiden Sprachen im Kleinkindalter in der Regel die der entsprechenden Hauptbezugsperson ist dabei aber oft dominanter und die Kinder verfügen hier über einen ausgeprägteren Wortschatz. Sie beherrschen durchschnittlich jedoch ein genauso großes Vokabular wie gleichaltrige monolinguale Kinder es ist zunächst nur aufgeteilt auf zwei Sprachen. Um die zunächst begrenzten Fähigkeiten in der jeweiligen Sprache auszugleichen, „leihen“ sich die Kinder Wörter aus der anderen Sprache. Einen solchen Wechseln zwischen verschiedenen Sprachen innerhalb einer Äußerung, der es den Kindern ermöglicht, ihr gesamtes Sprachenrepertoire zu nutzen, nennt man auch Code-Switching. In einer frühen Phase des Spracherwerbs kommt es bei bilingualen Kindern besonders häufig zum Code-Switching. Später gleichen sich Grammatik und Wortschatz aber aus.

Interessanterweise zeigt sich aber schon recht früh, dass die Kinder beim Code-Switching die entsprechenden Wörter und Formulierungen grammatikalisch korrekt in die jeweilige Zielsprache integrieren. „Leiht“ sich das Kind beispielsweise ein englisches Verb, wird es formal richtig in der Zielsprache, z.B. Französisch, konjugiert. Mehrsprachige Kinder verfügen damit also schon in jungen Jahren über die Fähigkeit, den Inhalt und die Grammatik zweier Sprachen voneinander zu trennen.

In der Forschung konnte außerdem gezeigt werden, dass Kinder ihre jeweiligen Sprache funktional einsetzen: Je nach Handlungsbereich oder Umgebung tendieren sie dazu, eher die eine oder die andere Sprache zu sprechen. Auch der situative Wechsel zwischen zwei Sprachen ist also nicht einfach ein zufälliges Verhalten. So lässt sich beobachten, dass Code-Switching im eigenen Zuhause besonders oft auftritt – frei nach dem Motto: „Die verstehen mich ohnehin“. Gegenüber Fremden sinkt der Anteil des Code-Switching allerdings. Den Kindern scheint es durchaus bewusst zu sein, dass andere ihre zweisprachigen Äußerungen nicht unbedingt verstehen. Lediglich in Stress-Situationen kommt es häufiger unabsichtlich zum Code-Switching, da Kinder dann vermehrt Schwierigkeiten haben, die richtigen Wörter oder Formulierungen zu finden.

Code-Switching ist also keine willkürliche Vermischung von Sprachen, sondern vielmehr Ausdruck eines kompetenten, zum Teil auch kreativen Umgangs mit ihnen. Für die Kinder ist es aber auch wichtiger Teil ihrer sozialen Identität. Schließlich ist für sie mit einer Sprache auch ein Personenkreis (oder zumindest eine Person) verknüpft, der (die) die entsprechende Sprache spricht. Diesem Kreis von Menschen fühlen sich Kinder so auch über die gemeinsam geteilte Sprache zugehörig. Die Identität bilingualer Kinder speist sich so auch aus den Erfahrungen, die die Kinder in Zusammenhang mit den Menschen machen, die jeweils eine ihrer beiden Erstsprachen sprechen, aber eben auch daraus, dass sie eben unterschiedlichen kulturellen Gruppierungen und nicht nur einer angehören.

Mit ihren beiden Erstsprachen hat Jennifer also gegenüber denjenigen, die später eine zusätzliche Sprache erlernen, einige eindeutige Vorteile. Ob und wie die entsprechenden Vorteile, die potentiell jedes bilingual aufwachsende Kind hat, aber tatsächlich genutzt und weiterentwickelt werden, hängt allerdings auch stark vom Umfeld des Kindes ab. Die Linguistin Zwetelina Ortega betont, dass die Kinder keinesfalls in die „Passform des einsprachigen Kindes“ gepresst werden dürften. Familie und Pädagogen müssten im Umgang mit bilingualen Kindern für Kontinuität, Konsequenz und viele Sprachreize in der Sprachvermittlung beider Sprachen sorgen. Hierbei spielt allerdings auch das Prestige, das die Erstsprachen des Kindes für Personen seines Umfelds haben, eine wichtige Rolle. Sind sie der entsprechenden Sprache gegenüber negativ eingestellt oder befürchten sie beispielsweise Nachteile für das Kind, so hat das z.B. Einfluss drauf, in welchem Maß die entsprechende Sprache gepflegt wird.

Jennifer in Montreal ist aber auf jeden Fall zu beneiden. Sie lernt gerade schließlich nicht nur eine, sondern gleich zwei Sprachen „kinderleicht“ auf Erstsprachniveau. Wie wir alle wissen, ist das Erlernen einer zweiten Sprache in der Schule bei Weitem nervenaufreibender und zeitintensiver! 

Autorin: Katharina Greis

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